21. Juni 2022

Meine Farbwelten

Farben begleiten mich mein Leben lang auf eine sehr besondere, magische und manchmal kaum erklärbare Art und Weise. Vielleicht ist es Dir auch hier schon aufgefallen – jede Meldung hat ihren ganz persönlichen Hintergrundton und manchmal wünschte ich mir, es gäbe bei WhatsApp noch 1000 weitere Farbnuancen:)))))

Es mag vielleicht etwas merkwürdig erscheinen, so habe ich aber auch zu jedem Gefühl eine bestimmte Farbe vor Augen, zu jedem Begriff oder zu jeder Situation. Ja, sogar jeder Mensch wird von mir mit einer ganz besonderen Farbkombination assoziiert und jede Begegnung mit ihm, jede gemeinsame Erinnerung und unsere Gespräche haben stets verschiedene Farbnuancen. Und ja, auch Du, Du hast in meinem Herzen einen ganz besonderen, individuellen und wunderschönen Farbabdruck.

Aber anscheinend geht es nicht nur mir so, obwohl ich – wie immer bei so etwas – etwas zu übertreiben scheine:))))) Es ist schon eine faszinierende Sache, wie wir – oft unbewusst – unsere Gefühls- und Außenwelt mit all den Farben in Verbindung bringen. Ich denke, ich spreche nichts Neues an, wenn ich davon erzähle, dass viele von uns die Hoffnung mit Grün, die Liebe mit Rot und die Tiefe mit Blau assoziieren. Das sind archaisch geprägte Farbbilder, die durch unsere Gesellschaft – Generation für Generation – und nicht ohne Grund übertragen werden. Und natürlich, stimmt vieles davon nach wie vor und wird von uns ganz automatisch bereits in unserer frühsten Kindheit durch unsere ersten Erfahrungen und durch die familiäre Prägung als Leitbilder übernommen.

Doch genauso spannend ist es, dass wir im Zuge unserer Entwicklung und unserer Bewusstseins- und Begriffserweiterung durch neue Erkenntnisse auch unsere Farbassoziationen ändern können. Ich staune jedes Mal, wenn mir so etwas bei mir selbst auffällt. Vielleicht kennst Du es ja auch?

So war die Liebe für mich lange Jahre ebenso Rot – so ein samtes, helleres Weinrot, vielleicht auch dem Rot des Blutes etwas ähnlich – von Zärtlichkeit, Geborgenheit, Sinnlichkeit und Sehnsucht umhüllt. Doch inzwischen repräsentiert dieses Rot für mich nur einen kleinen Aspekt der Liebe: die physische, anfassbare Liebe – die physische Sehnsucht nach einem ganz bestimmten – besonderen – Menschen.

Die Liebe, von welcher ich hier so oft schreibe, hat eine andere Farbe für mich. Sie ist strahlend weiß, mit goldenem Licht durchflutet, wärmend, umhüllend. Sie ist grenzenlos, sie ist bedingungslos, sie ist gleich zu jedem und zu allem – allumfassend. Sie ist frei, sie ist von jeglicher Reaktion des Gegenübers unabhängig.

Genauso bemerkenswert ist es, wie sich das Spektrum meiner Lieblingsfarben im Laufe der letzten Jahre verändert hat. Waren es früher vor allem das tiefe Blau und das helle Türkis, welche mein Herz höher schlagen ließen und zwischenzeitlich das zarte Rosa – vor allem, als Jasmine ein kleines Baby war, – so sind es jetzt vor allem die Erdtöne – Rostbraun und das satte kräftige und das lebensbejahende Waldgrün, welche ich mir stundenlang anschauen kann, ohne meine Augen nur abzuwenden. Mag man da glauben, dass ich zuvor das Braun jahrelang gehasst hatte, es kaum in meinen Bildern verwendet hatte und es besonders in der Kleidung gemieden habe? 31 Jahre lang!!! Verrückt, oder?

Betrachte ich die Verärgerungen in meinem Wesen, so verstehe ich es ganz genau, warum dieser Wandel stattfinden durfte und was dieser zu bedeuten hat.

Es ging um den Halt, welchen ich in dieser Welt finden musste, um die Erdung und die Anbindung an das Hier und Jetzt sowie die Selbstakzeptanz, die mir viele Jahre so gefehlt hatten. Daher habe ich mich jetzt vermehrt mit diesen Farben umgeben – zunächst unbewusst und später ganz bewusst. Und wenn ich meinen allerliebsten braunen Rock anziehe, so habe ich das Gefühl ein Teil von diesem Planeten zu sein, ein Teil von Mama-Erde – naturverbunden, bodenständig, klar… Und gleichzeitig darf ich schweben – nach dem Blau des Himmels und nach der Unendlichkeit greifen oder im Türkisblau des Meeres versinken, da ich stets weiß, dass ich verwurzelt bin und nicht abdriften, mich nicht verlieren, werde. Dass ich in Sicherheit bin.

Besonders spannend ist es mit dem Schwarz. Früher von mir besonders gemieden, sind gut 3/4 aller Sachen in meinen Kleiderschrank inzwischen Schwarz.

Als Arbeitsaufgabe aus meinem Lernbuch sollte ich zu der jeweils betrachteten Farbe kurz aufschreiben, welche Gegenstände, welche Emotionen und welche Themen ich mit der vorliegenden Farbe assoziiere, welche Bilder ich damit malen würde, hineinspüren, welche Gefühle und welche Erinnerungen sie in mir auslöst… Ich war extrem überrascht, wie anders meine Wahrnehmung des Schwarz von all den später im Buch auftauchenden Begriffen war. Aber begutachte selbst :))))

Meine Begriffe waren: Klarheit, Deutlichkeit, Nacht, Schattenanteile annehmen, Reduktion auf das Wesentliche, Schönheit, Innenschau, Akzeptanz, abgekühlte Lava, Eleganz, Sachlichkeit, Freiheit, Rabe, Panter, Würde, das Nichts und das Alles, Tusche, Ewigkeit, Präsenz, Mutterleib…

Einige Begriffe aus dem Buch waren hingegen: Höhle, Hölle, Trauer, Unbewusstheit, Resignation, Urängste, Boshaftigkeit, starke Depressionen, Zerstörungswut, Hoffnungslosigkeit, Gefangensein, Selbstverleugnung, Schmerz, Ablehnung, Ernst, Apathie…

Ich war erstaunt, überrascht und dankbar über diese Erfahrung zugleich! Erstaunt, wie anders doch die Wahrnehmung der einen und der selben Sache sein kann und dankbar dafür, dass ich es noch einmal vor die Augen geführt bekommen hatte. Warum?

Selbst wenn wir uns auf ein Schwarz-Weiß denken festlegen wollen würden, so ist mein Schwarz nicht Dein Schwarz und das, was ich als Weiß betrachte, musst Du nicht gut, edel oder wünschenswert finden. Wir sind alle unterschiedlich, bunt wie das Leben selbst! Spannend, vielseitig und nehmen alles so unterschiedlich wahr! Und alles und jeder ist gut so wie er ist, mit seiner ganz persönlichen – individuellen – Weltwahrnehmung.

Lass uns doch bitte diese Farbenpracht in unserer Welt bewahren, indem wir das Anderssein des jeweils Anderen akzeptieren, indem wir ihn als einen einzigartigen und unverkennbaren Farbton in dieser bunten Welt anerkennen – einen Farbklecks, ohne welchen das Bild unseres Lebens leblos und kahl wäre.

Und jetzt – geh ein paar Schritte zurück und betrachte dieses prächtige Bild eine Weile – es ist vollkommen!

Weitere Texte von mir