17. Oktober 2022
Die Gefühle sind gut
Ob ich mich manchmal schäme? Natürlich tue ich das! Zuletzt war es gestern, als ich gefühlt das 30-te Mal eine falsche Nachricht bezüglich Jasmines Kindergeburtstag versendet hatte. Ich war verwirrt und habe schon wieder die Tage vertauscht, nachdem ich bereits in den Tagen zuvor nicht berücksichtigt hatte, einen wichtigen Termin zu haben. Eine liebe Freundin hatte mich ein weiteres Mal darauf aufmerksam gemacht, dass ich falsch liege und ja, das war mir peinlich. Und ja, da habe ich mich für meine Unaufmerksamkeit und meine Dusseligkeit auch geschämt.
Ich schäme mich auch, wenn ich vor lauter Emotionen oder weil ich schlichtweg nicht daran gedacht habe, jemanden verletze. Besonders traurig und verschämt bin ich, wenn ich zu Jasmine laut und unaufrichtig bin. Ich frage mich dann, was in mich reingefahren ist und warum das ganze Theater sein musste.
Ich schäme mich nicht dafür, dass ich mich schäme. Denn es ist ein wichtiges Gefühl, um etwas verbessern, etwas anders machen zu können. Es ist das notwendigste Gefühl für die Selbstreflexion. Es ist ein Gefühl, das wichtig ist, damit die anderen wissen, dass einem etwas Leid tut, dass man nicht besser ist, als all die anderen, dass man noch viel lernen kann und darf.
Doch wie so oft im Leben ist auch hier das richtige Maß das Entscheidende – wenn wir die Scham nicht zulassen, werden wir gefühlskalt den anderen gegenüber. Wenn wir uns zu viel schämen und unseres eigenen Wertes und unserer Stärken nicht bewusst sind, werden wir oft unterwürfig.
Wie nehme ich es, wenn ich etwas falsch gemacht habe? In erster Linie mit Humor – ich lache über mich selbst und sage zu mir: „Da warst Du ganz schön doof, mein Liebes.“ Und ja, ich zeige es auch den anderen. Die dürfen es alle male wissen, dass ich ganz unperfekt bin. Vielleicht ist es aber auch der Grund, warum auch die anderen sich bei mir trauen, zu sagen, wenn etwas falsch gelaufen ist.
Was mache ich noch? Natürlich entschuldige ich mich – bei Jasmine, bei meiner Familie, bei meinen Freunden. Und auch bei mir. Es gibt kaum etwas heilsameres für eine zwischenmenschliche Beziehung, als eine aufrichtig gemeinte Entschuldigung. Sie heilt die Wunden. Sie verbindet.
Wann bin ich wütend? Es macht mich wütend, wenn die Menschen sich nicht an unsere Abmachungen halten und ich – zunächst – keinen sichtbaren Grund dafür sehe. Nichts macht mich wütender, als sich auf einen Menschen nicht verlassen zu können. Zum Beispiel wenn Jasmine und ich etwas ganz fest abgesprochen haben und sie danach, obwohl ich ihr entgegen gekommen bin, nicht will. Ich möchte mich darauf verlassen können, dass ich, wenn ich kompromissbereit und offen bin, auch von dem Anderen Verständnis, Klarheit und Zuverlässigkeit erhalte.
Warum es wichtig ist, die Wut – nicht nur in solchen Situationen – zuzulassen? Unsere Wut zeigt dem Gegenüber unsere Grenzen auf. Sie zeigt: bis hierhin und nicht weiter. Sie ist ein deutliches Signal dafür, wenn die Geduld am Ende ist und eine gewisse Grenze überschritten wurde…
Natürlich ist es wichtig, die eigene Wut kontrollieren zu können. Es ist wichtig, nicht vollkommen auszurasten, nicht beleidigend, vor allem aber nicht handgreiflich zu werden. Es ist aber auch wichtig die Wut nicht zu unterdrücken, sie nicht zu schlucken. Denn unterdrücke Wut macht aggressiv – dann sind wir oft in den harmlosesten Situationen nicht fair den Menschen gegenüber, die gar nichts für unsere Gefühle können.
Wenn ich in mir die aufsteigende Wut spüre, so warne ich bereits zuvor vor: „Ich werde langsam wütend…“ – sage ich dann und gebe ein Teil der Verantwortung für die aufkommende Situation auch meinem Gegenüber ab.
Und was, wenn ich dann trotzdem wütend bin? Ich gehe raus. Ich verlasse die Situation. Einige konnten mit diesem Verhalten lange Zeit nichts anfangen. Doch inzwischen wissen die Menschen, die mir wichtig sind, dass es kein Zeichen der Respektlosigkeit oder der Ignoranz ist. Ich muss mich „runterkühlen“, damit ich wieder klar denken kann, damit ich nicht verletzend bin, damit wir eine Lösung finden können. Ich gehe in ein anderes Zimmer, ich atme tief durch oder ich spiele auf meinem Handy – Fotos gucken, irgendwelche Artikel durchblättern – das hilft immer. Und was auch noch hilft – zu putzen! Ich schnappe mir dann einen feuchten Lappen und wische Staub. Klingt lustig – hilft mir aber sicher und meistens freue ich mich dann sogar, denn es ist endlich aufgeräumt und schön zuhause:))))
Und wann ich ängstlich bin? Ich bin dann ängstlich, wenn ich etwas, was mir wichtig ist, verlieren könnte. Wir hatten es hier schon – meine Freunde, meine Freiheit. Wenn ich dann weiß, dass ich durch mein Verhalten oder durch eine zu treffende Entscheidung einen Freund verlieren könnte, dann habe ich Angst – die Verlustangst. Ich habe Angst, wenn etwas meine Freiheit bedrohen könnte. Wenn ich das Gefühl habe nicht frei, nicht unabhängig sein zu können.
Warum es wichtig ist, seine Ängste zu kennen und diese zu spüren? Zu einem lernen wir, was uns im Leben wirklich wichtig ist. Für den einen mag es die Gesundheit sein, für den anderen der berufliche Erfolg, für den dritten – die Familie. Es ist enorm wichtig zu akzeptieren, dass es in unserem Leben Dinge gibt, die wir nur ungern verlieren würden. Die Angst warnt uns vor einem unangemessenen Verhalten. Sie zeigt unserem eigenen Handeln eine scheinbar unsichtbare Grenze auf. Und sie erinnert uns daran, dass wir nicht alles machen können, ohne, dass es Konsequenzen geben kann.
Zu viel Angst kann uns daran hindern, mutig zu sein, unsere Grenzen zu überwinden, Neues zu erfahren, zu lernen. Ja, letztendlich unser Leben zu leben. Zu wenig Angst macht uns verwundbar – immer dann, wenn wir am wenigsten damit gerechnet haben.
Wie gehe ich mit meinen Ängsten um? Ich nehme sie wahr und ich reflektiere, woher sie kommen, ob sie zu groß geworden sind? Ob sie berechtigt sind. Ein Beispiel hierfür war Corona.
Ich hatte die Wahl zwischen der Angst um meine Gesundheit und der Sorge, meine Freiheit verlieren zu können. Ich habe reflektiert, was für mich schlimmer, heftiger gewesen wäre. Daher habe ich mich damit beschäftigt, wie ich mich schützen kann und trotzdem meine Freiheit beibehalte. Ich habe meinen Weg aus dieser Angst gefunden.
So ist es dann, wenn ich Bedenken habe einen wichtigen Menschen aus meinem Leben zu verlieren. Ich frage mich, ob diese Angst berechtigt ist? Ich frage dann, ob es mir wert ist, mich so oder so zu verhalten und meine Entscheidung zu fällen. Ich mache es ganz bewusst, ich stelle mich dieser Angst. Und ich entscheide mich, auch, wenn es für mich heißen kann, einen Schmerz empfinden zu müssen.
Bisher habe ich es immer geschafft mich allen meinen Ängsten stellen zu können. Und ich bin daran gewachsen. Ich bin dadurch stärker, klarer und mehr ich selbst geworden.
Wann bin ich traurig? Ich bin dann traurig, wenn etwas zu Ende geht, was ich gerne vermieden hätte doch nicht vermeiden kann, weil ich nicht alles oder jeden kontrollieren kann – weil alle Menschen frei und unabhängig sind. Und weil das Leben voller Überraschungen steckt, die wir nicht kontrollieren können.
Ich bin am Ende traurig, wenn eine Abmachung geplatzt ist (nachdem ich wütend war). Ich bin dann traurig, wenn eine geliebte Sache (zum Beispiel eines der von mir bemalten Gläser) kaputt geht und ich sie nicht reparieren kann. Am meisten bin ich traurig, wenn ich einen Menschen loslassen muss. Egal, was vorgefallen ist.
Die Trauer ist ein wichtiges Gefühl. Es ist das Gefühl, dass etwas Schade ist. Dass etwas ein Ende hat und man deswegen traurig ist. Es ist das einzige Gefühl, das uns dazu verhilft etwas annehmen und etwas akzeptieren zu können – etwas abschließen zu können. Ohne die Trauer (oder die Traurigkeit) können wir nicht wirklich loslassen, wir können nicht wirklich verarbeiten. Zu viel unverarbeitete Trauer kann uns depressiv machen und uns all die bunten Töne im Leben grau färben. Doch wenn wir sie nicht spüren, spüren wir oft nichts. Wir können kaum mit dem Leben verbunden sein. Wer keine Trauer kennt, kennt auch keine spontane, aus dem Herz sprudelnde Freude.
Wenn ich dann traurig bin, so mache ich mir schöne traurige Musik an, ich gehe zu einem Fluss, um mich zu vergewissern, dass das Leben weiter geht. Ich zünde eine Kerze an und wünsche mir einen Neuanfang, eine neue Chance oder einen neuen Weg, der mir gezeigt wird. Ich spüre sie solange, solange sie da ist, bis sie, nicht selten auch mit meinen Tränen, mich loslässt und ich loslassen kann…
Und wenn Du mich fragst, ob ich all diese Gefühle gerne fühle, so sage ich ganz eindeutig – JA! Denn sie gehören dazu, denn sie gehören zum Leben. Wenn ich versuchen würde, sie klein zu reden, sie zu verdrängen, dann würde ich das wahre Leben und in erster Linie auch mich selbst verleugnen. Und dafür bin ich nicht da.
Ich bin nicht da jemand zu sein, der ich nicht bin. Ich bin hier da, um ich zu sein.
Und ich bin stolz und froh, dass ich es sein darf – unperrfekt, emotional und glücklich.